Letzte Woche habe ich mich im Eifer eines urplötzlichen Mutanfalles (oder vielleicht auch eines akuten Falles von Abgabedruck) einem besonders beharrlich verschobenen Punkt auf meiner ToDo-Liste gewidmet. Ja, ich bin unter meiner Bettdecke hervorgekrochen, habe alle Prokrastinationsverlockungen links und rechts des Weges liegen lassen und habe mich todesmutig einer meiner ungeliebtesten Aufgaben gestellt: der ersten großen Überarbeitung eines Manuskripts! 😮 😮 😮
Denn was die meisten Menschen gar nicht realisieren: Auf dem Weg von der Idee bis zum Buch in der Buchhandlung ist das Fertigstellen des Manuskriptes nicht zwangsweise der größte Meilenstein. In der Tat ist es gar nicht selten, dass die verschiedenen Überarbeitungen noch einmal ganz genauso viel Zeit in Anspruch nehmen wie der gesamte vorangegangene Schreibprozess – zuweilen sogar noch mehr!
Als Lektorin und Autorin weiß ich: Der Überarbeitungsprozess, der sich stets aus mehreren Etappen zusammensetzt, ist absolut unabdinglich, um das Beste aus einem Manuskript herauszuholen (und wenn ich von meiner Lektorin da wenig Hausaufgaben bekäme, würde ich wirklich skeptisch werden)! Als Geschichtenerfinderin und Mensch ist es aber doch immer wieder schwierig, wenn das eigene Baby mit tausenden Kommentaren und Anmerkungen und Fragen und Kritikpunkten und Verbesserungsvorschlägen zurückkommt. Tatsächlich muss ich das dann erst einmal verarbeiten, indem ich die berühmten fünf Phasen der Trauer durchlaufe:
- Leugnen: Ach Quatsch! Mein Manuskript ist doch super, genau so, wie es ist! Und überhaupt, ich lass das jetzt erst mal und mache lieber ein paar Wochen was anderes, bevor ich mir diese ganzen Kommentare richtig durchlese.
- Zorn: Waaaaaas? Meine Lektorin hat doch wirklich gar keine Ahnung! Wie kann man denn nicht verstehen, dass das genau so bleiben muss? Boah, echt ey!
- Verhandeln: Vielleicht bringt es ja was, wenn ich ihr erkläre, wie ich das alles gemeint habe … Ich hab mir da doch schließlich was bei gedacht!
- Depression: Oh Mann, gefällt meiner Lektorin eigentlich überhaupt irgendwas an diesem Manuskript? Wenn sie das mit Rotstift korrigiert hätte, könnte man aus dem Blatt doch glatt Valentinstags-Konfetti schnipseln! Vielleicht sollte ich mir besser einen anderen Job suchen!
- Akzeptanz: Naaaaaa guuut, mit 90% ihrer Anmerkungen hatte sie vielleicht doch recht. Ich glaube, der Text ist jetzt wirklich besser geworden! (Juhuu!)
Die Phasen laufen oft parallel oder überlappend ab, aber sie sind in der Tat immer alle vorhanden. Vor allem bei jener ersten großen Überarbeitung, die mir immer am schwersten fällt. Manchmal schreibe ich dann sogar erst – hin und her gerissen zwischen Zorn und Depression – einen verhandelnden Antwort-Kommentar, überarbeite die Stelle dann aber doch kurz darauf und lösche den Kommentar wieder – voller widerwilliger Akzeptanz, dass es dadurch ja doch irgendwie besser geworden ist. *seufz*
Letzte Woche habe ich mich dieser emotionalen Achterbahnfahrt also nach langem Leugnen voller Hingabe gewidmet und mein neuestes Adventskalender-Manuskript zum ersten Mal intensiv überarbeitet: Ich habe (fast) alle Kommentare umgesetzt oder beantwortet. Ich habe das komplette Manuskript noch einmal gründlich gelesen und dabei selbst (mit dem inzwischen gewonnenen Abstand) noch alles mögliche bearbeitet und verbessert. Und am Schluss habe ich mich noch einmal besonders kühn all jenen schwierigsten Kritikpunkten gestellt, die ich zuvor unbeantwortet gelassen hatte. Nach 15 Stunden Netto-Arbeitszeit war ich mit meinem Adventskalender-Latein am Ende.
Heute habe ich das Ergebnis erfahren: Meine Lektorin war begeistert! Sie sagt, dass wir mit dieser Überarbeitung so einen riesen Schritt nach vorne gemacht haben, dass wir ab jetzt nur noch ein paar Kleinigkeiten überarbeiten müssen und das Manuskript nun direkt an die Illustratorin gehen kann. Yeah, mein Baby ist ein Phoenix! 😎
(Dann bleibt ja nur noch spannend, wie viel Trauerarbeit die „letzten Kleinigkeiten“ verlangen werden … 😛 )